Samstag, 18. September 2010

Viral, von genial zu egal

Das Internet ist wohl eines der schnelllebigsten Medien überhaupt. Und die Welt des Web2.0 haben irgendwann auch Werbeagenturen für sich entdeckt. Am Anfang war alles neu, lustig, interessant und unterhaltsam. So begannen irgendwann die Werbeschaffenden ihre Botschaften als sogenannten "Usergenerated Content" zu maskieren. Dabei ging es zu Beginn nichtmal um stures Productplacement sondern darum die Konsumenten neugierig zu machen und sie im besten Fall auf ein Seite hin zu lotsen auf der sich dann irgendwo ein Hinweis auf das Produkt befand. Dann kamen die etwas direkteren und traditionelleren Versuche in denen irgendwo am Rande das Produkt unauffällig platziert wurde. Bis dahin war die virale Welt noch in Ordnung, ein TV-Sender inszinierte zum Beispiel in einem Bahnhof in New York einen Tatort mit Blut, Absperrungen und alle Schikanen um „CSI New York“ zu bewerben. Es wurden Links, Bilder und Videos von Internetusern verschickt und alles war in Butter. Die Botschaften verbreiteten sich wie en Lauffeuer, genial und billig zu gleich da man ja nicht für eine traditionelle Verbreitung sorgen musste, das übernahmen ja die eifrigen Webbewohner freiwillig, die Botschaft verbreitete sich wie ein Virus.

Wie aber so ziemlich jede Idee die zu Anfang noch gut erschien wird sie umso schlechter mit steigendem, inflationären Einsatz. In dem Moment wo sich die nicht ganz so Kreativen unterhalten und meinen: „Hey schau mal die machen sogenannte virales Marketing, das müssen wir unbedingt auch machen!“ genau in dem Moment geht die ganze Sache den Bach runter. Einige Jahre nach den ersten Internetvirals sieht die Produktion eines solchen heute wohl ungefähr so aus:

Die Kreativen wissen sehr genau um das Grundkonzept eines viralen Videos und setzen das Gesehene entweder eins zu eins oder sogar noch völlig überzogen um. Also was braucht es für einen guten Viral? Eine wacklige Kameraführung und ein schlechtes Bild, dass es auch auf jedenfall so aussieht als hätte das garantiert kein Profi gemacht.
Hierzu nimmt man sich nun am besten die kleine Praktikantin aus der Buchhaltung, erzählt ihr das ihre Mutter gerade angerufen hat und das ihr Goldfisch in einem tragischen Autounfall beim Gassischwimmen ums Leben gekommen ist. Zur Beruhigung flößt man ihr dann erstmal 3 Kannen vom guten Coderkaffee, aus der Webdesignabteilung, ein und zum Schluss versteckt man ihr dann noch die Kippen um ihr dann zu sagen das sie, bevor sie nach Hause gehen und ihren geliebten Goldfisch in der Toilette beerdigen kann, noch eine Kleinigkeit für die Agentur erledigen müsse. Dann schickt man sie mit einem Aldi-Camcorder bewaffnet an den vorher präparierten Schauplatz an dem man schon alles vorbereitet hat. Unruhige Kamera... checked.
Wenn das nichtsahnende Kameraopfer dann an der Location eintrifft jagt man erstmal, spontan wie man so ist, ein paar Liter Benzin in die Luft lässt einen Motorradfahrer über ein paar Häuser oder Babys springen und hofft darauf das die verwirrte Buchhaltungsassistenzpraktikantin auch ja das Firmenlogo, das da unauffällig am Haus prangte, mit im Bild hatte. Wenn nicht auch kein Problem das machen wir dann nachher per CGI rein, die Jungs aus der Grafik packen schon. Die weinende und schreiende Praktikantin bringt man dann anschliessend nach Hause… das war aber auch ein Tag für sie.
Nun wird das Rohmaterial durch sämtlich Filter und min 20 verschiedene Komprimieralgorithmen geprügelt ganz so wie das der Nichtprofi zuhause machen würde wenn er seine Videos bearbeitet. Man soll ja am Ende nicht zu viel erkennen, es soll ja spannend bleiben. Bei Youtube hochgeladen und fertig. Oder etwa doch nicht? Denn das Video von dem neuen Agenturaccount „NotaProfessional5000“ will irgendwie keiner sehn. Hier kommt jetzt die Socialmediadivision der Agentur zum tragen man spammt das Video in sämtliche Plattformen die nicht gerade offline sind weil sie gerade wieder mit ein paar Anwälten kämpfen und gerade verklagt werden. Mit unauffälligen Texten wie „ROFL wie geil das muss man gesehen haben“ oder „DAS ist garantiert keine Werbung, aber alle haben überlebt. LOL!!!11“ Dann werden noch hier und da ein paar kleine Witzseiten bestochen das sie das Video in jedem Fall auch bringen und im Handumdrehen sieht man überall, wie es früher auch schon war, das selbe. Nichts neues, nichts unterhaltsames sondern einfach nur langweilige Fließbandware und eben egal.
Mittlerweile stinken die Möchtegernvirals schon drei Links gegen den Wind so das man nach wenigen Filmsekunden sagen kann: „VIRAL und weg damit“. Einen schönen Dank und Gruß an dieser Stelle an die Praktikantin, dank ihrer Kameraarbeit erkennt man die miese Viruswerbung schon nach ein paar Bildern, ich hoffe dem Fisch geht es gut und der Agenturleiter hat keinen echten „Unfall“ arrangiert um alles noch viel realer wirken zu lassen. Am Ende gibt es aber immer noch die ganz klassischen Virals die es lang vor dem Internet und der Web2.0-Blase gab. Das sind eben die die unsere Kultur nachhaltig geprägt haben. Der Wohl erfolgreichste Viral überhaupt hat wirklich einen langen Bart funktioniert aber komischerweise immer noch er wird Jahr um Jahr von den Menschen verbreitet. Er gehört der Firma Coca Cola und hat das heutig Bild des Weihnachtsmanns geprägt.

In diesem Sinne Viral erst genial, dann scheissegal.

1 Kommentar:

  1. Sehr sehr schön geschrieben. Vollste Zustimmung. Es ist natürlich ein Kreuz mit den Virals. Wer an Lichtsetzung; ernsthafter Kadrage und sowieso an dramaturgisch sauber durchdachten Werbefilmen interessiert ist, muß bei Virals voller Graus die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Klar, das war am Anfang echt lustig; und innovativ wars auch und es animierte zum nachahmen - aber so richtige Reißer gab es schon seit drei Jahren nicht mehr. Nur die Spots die über die üblichen Kanäle laufen machen hier und da immer noch Spaß, denn sie machen das, was sie immer machten - ganz ohne Viral: Sie erzählen (oft lustige) Geschichten auf durchaus hohem Niveau. Naturgemäß können Virals das nicht liefern - das ist mit ein Grund, warum sie heute nur noch Gähnen verursachen.

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